- Historisch und queer. Geht sich das aus?

Wenn wir heute den Begriff queer in einer Ausstellung verwenden, die sich mit einer Zeit auseinandersetzt, in der dieser Begriff noch nicht in seiner heutigen Bedeutung genutzt wurde – ist das haltbar?

Die Debatte ist eine etwas ältere. Immer wieder kämpfen die Geschichtswissenschaften um das Nutzen von Kategorien, welche zwar in der Gegenwart  verwendet werden, die es aber nicht in der Vergangenheit gab. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Historiker*innen- Streit um Christine de Pizan, die im 14. Jahrhundert geboren wurde. Einige Vertreterinnen der Frauenrechtsbewegung bezeichneten sie als Intellektuelle. Die Kritik meinte, dass der Intellektuelle, also der Archetyp und der Habitus des Intellektuellen, erst Ende des 19.Jahrhunderts aufkam und durch und durch männlich konnotiert sei. Christine de Pizan als Intellektuelle zu bezeichnen wäre eine Projektion in die Vergangenheit. Das bedeutet, man nutzt gegenwärtige Kategorien und stülpt sie Aspekten und Personen der Vergangenheit über. Fernab jeder historischen Richtigkeit und Moral zeigt sich jedoch etwas anderes: Es gibt das Bedürfnis, historische Kontinuitäten zu schaffen. Politische Bewegungen, sowie Individuen haben den Wunsch, sich in der Geschichte wiederzufinden und sich damit identifizieren zu können.

Darum sagen auch wir bei dieser Ausstellung: Wir historisieren queer. Uns ist bewusst, dass Queerness nur schwer greifbar ist. „Queer“ war ursprünglich ein Schimpfwort gegenüber homosexuell gelesenen Personen, Aktivist*innen haben sich genau deswegen dieses Wort angeeignet. Queer sollte als Eigenbezeichnung dienen und somit niemals mehr als Fremdbezeichnung jemanden verletzen. Und bis zu einem gewissen Grad hat es funktioniert. Es gibt queer studies, es gibt queer als Überbegriff für die ganze Community und wer an queer denkt, denkt oft an selbstbewusste und -bestimmte Menschen.

Wir verstehen unter queer folgendes: Queer umschließt alle Menschen, die sich der Heteronormativität – die davon ausgeht, dass universell jede*r Mann oder Frau ist und verschiedengeschlechtlich liebt und begehrt – widersetzen. Und solche Menschen gab es heute, wie damals.