Das 19. Jahrhundert brachte nicht nur eine Pathologisierung der Sexualität mit sich. Durch verschiedenste gesellschaftliche Veränderungen fühlte der Staat sich genötigt, in das Privatleben von Menschen einzugreifen- u.a. auch in ihre Sexualität. Die Urbanisierung erschwerte es, Sexualität durch Familie und soziale Netze zu regulieren, wie es zuvor in kleinen, ruralen Gemeinschaften möglich war. Die Anonymität der Stadt eröffnete dem Individuum Freiheiten, sexuelle Kontakte ohne autoritäre Beobachtung zu knüpfen. Der Staat führte als Reaktion daraufhin eine Sittenpolizei ein, welche in der Stadt für Zucht, im wahrsten Sinne des Wortes, und Ordnung sorgen sollte. Oft agierten diese unter dem Vorwand, die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, insbesondere der Syphilis, zu verhindern. Die Razzien und Schikanen trafen besonders Sexarbeiterinnen, alleinstehende Frauen und Arbeiter*innen, welchen nachgesagt wurde, besonders umtriebig und amoralisch zu sein und einen freien Umgang mit Sex zu haben.
Dies zeigt sich auch in dem 1852 erlassenen Gesetz, welches Individuen laut §129 b St. G. als “Unzucht gegen die Natur” verurteilte, wenn sie Unzucht mit Tieren oder mit Menschen des gleichen Geschlechts begangen. Als Strafe stand den Verurteilten bis zu 5 Jahre schwerer Kerker bevor.
Dabei gibt es in Österreich das Alleinstellungsmerkmal, dass auch explizit Frauen von dem Verbot des gleichgeschlechtlichen Sex betroffen waren. Frauen wurden jedoch nie angeklagt, nicht weil es keine lesbischen Beziehungen gab, sondern weil das Credo lautete, dass solche Verfahren andere Frauen dazu ermutigen würde, sich ebenso dem Sex mit gleichgeschlechtlichen Partnerinnen hinzugeben. Dies zeigt unter anderem, dass weibliche Sexualität kaum als autonom und selbstbestimmt wahrgenommen wurde.
Dieses Gesetz blieb lange bestehen, dennoch gab es in den späten 1920er Jahren und frühen 1930er Jahren Petitionen, den Paragraphen §129 b St.G. abzuschaffen. Namentlich können hier die 1927 gestellte Petition einer Organisation namens hommosexuelle konservative Verbindung und 1931 die berühmte Eckstein- Petition, welche von verschiedensten Prominenten unterschrieben wurde, erwähnt werden.
Auch im Austrofaschismus von 1933 und 1938 wurde der Paragraph weiter angewandt. Mit dem vom Großteil der Bevölkerung getragenen Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland spitzte sich die Lage der Verfolgung von homosexuellen Personen zu. Schwule Männer wurden systematisch verfolgt, viele von ihnen wurden in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet. Die Verfolgung von lesbischen Frauen wurde anders geführt, oft wurden diese als “asozial” eingestuft und ebenso in Konzentrationslager deportiert. Homosexuelle wurden im Nationalsozialismus als Schädlinge des gesunden Volkskörpers gesehen und sollten ausgelöscht werden. Nach 1945 blieb der Paragraph §129 b St.G. bestehen. Viele der Personen, welche aufgrund ihrer Sexualität verfolgt wurden und die Konzentrationslager überlebten, wurden von der zweiten Republik erneut verhaftet, angeklagt und eingesperrt. Entschädigung für diese Opfergruppe wurde erst in den 1990ern gewährt. Das Totalverbot von homosexuellen Handlungen wurde erst 1971 aufgehoben, was als eine Zäsur zu verstehen ist, da sich damit queere Menschen in Österreich erstmalig organisieren und gegen ihre Unterdrückung aufstehen konnten. Bis heute gibt es gesetzliche Einschränkungen, welche queeren Menschen eine vollständige Selbstbestimmtheit und Partizipation in der Gesellschaft untersagen.
So wurde bei der kleinen Strafrechtsreform 1971 zwar das Totalverbot aufgehoben, aber als Reaktion darauf neue Paragraphen eingeführt, welche Homosexualität beschränkten. §210 Verbot männliche, homosexuelle Prostitution, §220, der Werbung für gleichgeschlechtliche Unzucht untersagte, mit §221 wurden Verbindungen, die Unzucht beförderten untersagt und §209, welcher das Mindestalter für männlichen, homosexuellen Sex auf 18 (ab 1988 ab 19) hob, während lesbischer und heterosexueller Sex ab 14 erlaubt waren. Dieser Paragraph führte zur Kriminalisierung von Beziehungen und wurde, wie Zeitzeugen berichten, immer wieder ausgenutzt, um Personen zu diffamieren.
Der Paragraph 210 (Prostitutionsverbot) wurde in den 1980ern abgeschafft, mit der Argumentation, dass dieser die AIDS Prävention hindern würde. §220 und §221 fielen im Jahr 1996, mit genau einer Stimme für Mehrheit zugunsten der Abschaffung. §209 wurde 2002 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, nachdem ein Mann für Sex mit einem 17 Jährigen angezeigt und verurteilt wurde und dagegen Berufung einlegte. Er bekam Recht, dass das Gesetz diskriminierend und damit nicht haltbar wäre.
Die Gerichte spielen in Österreich des öfteren eine große Rolle, wenn es um den Fortschritt der Rechte für LGBTIQ+ Personen geht. Wie im oben erwähnten Fall werden Klagen an den Verfassungsgerichtshof herangebracht, damit die Regierung verpflichtet ist, ein Gesetz zu erlassen. Die eingetragene Partnerschaft, in Österreich 2010 eingeführt, wurde für homosexuelle Paare ermöglicht, jedoch mit vielen Boshaftigkeiten und Ungleichheiten, welche alle vor die Höchstgerichte gebracht werden mussten. Ähnlich stand es auch mit der Adoption. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ermahnte Österreich, dass es das Adoptionsverbot für homosexuelle Paare aufheben sollte, womit Österreich im Jahr 2013 das Adoptionsrecht für Stiefkinder zuließ. Das Verbot der Adoption “fremder” Kinder musste 2015 gekippt werden. So war es auch der Verfassungsgerichtshof, der im Jahr 2017 den Nationalrat anordnete, die Ehe für alle einzuführen – diese ist seit 1.1.2019 Gesetz.
Die meisten gesetzlichen Veränderungen wurden somit nicht aus politischem Willen der regierenden Parteien herbeigeführt, sondern mussten über den Weg des Verfassungsgerichts erkämpft werden.