Der Tod des Hammam: Die Entkopplung von Homosozialität und Homosexualität auf dem post-osmanischen Balkan
Im Rahmen des Projekts “Is Queer Political”
ein Vortrag von Mišo Kapetanović auf Englisch
Do. 18.1.2023, 19:00Uhr, QUEER MUSEUM VIENNA
Otto Wagner Areal, ehem. “Direktion”, Stiege 2, Hochpaterre,
Baumgartner Höhe 1, 1140 Wien
Der Vortrag findet auf English statt
Die vom türkischen Reich eingeführten Hammams spielten eine zentrale Rolle bei der Ausprägung der homosozialen Kultur im östlichen Mittelmeerraum. In diesen Räumen konnten Personen gleichen Geschlechts verschiedene Aktivitäten wie Baden, Massieren und geselliges Beisammensein ausüben, was manchmal zu heimlichen sexuellen Begegnungen führte. Westliche Beobachter waren oft schockiert und fasziniert zugleich und schilderten diese Praktiken in ihrer orientalistischen Literatur und Kunst. Auf dem Balkan fiel das Verschwinden der Hammams mit dem Aufstieg der Habsburger und später des jugoslawischen Königreichs zusammen, das die westlichen Gebiete des Reiches ablöste. In diesem Vortrag wird untersucht, ob der Rückgang der Hammams, der mit diesem Wandel zusammenfiel, auf neue Hygienepraktiken oder die zunehmende Stigmatisierung der Homosexualität zurückzuführen ist, die beide durch die Moderne eingeführt wurden.
Der Vortrag konzentriert sich auf Bosnien und Herzegowina und untersucht die historische Bedeutung von Hammams über ihren primären Zweck der Sauberkeit und des Rituals hinaus. Diese Einrichtungen waren lebendige soziale Zentren, in denen die Menschen verschiedenen Aktivitäten nachgingen, von denen einige möglicherweise zu intimen Beziehungen führten, die sich der gesellschaftlichen Beurteilung entzogen, während andere einfach den Bedürfnissen der Freizeit und der Jugend dienten. Das Aussterben der Hammams spiegelt einen Wandel der männlichen Ideale wider, die sich von osmanisch geprägten Praktiken hin zu westlichen Normen bewegten.
Der Vortrag ruft dazu auf, die historischen Muster der Beziehungen zwischen Männern und Frauen in diesen Einrichtungen zu untersuchen, um einen differenzierten Blick auf die Entwicklung queerer Identitäten und ihr Zusammenspiel mit sozialen Normen und Geschlechterrollen zu ermöglichen. Die Forschung versucht nicht, das Auftreten solcher Beziehungen in Hammams zu beweisen, sondern geht davon aus, dass es sich dabei um historische Fakten handelt. Vielmehr zielt sie darauf ab, die Narrative und gesellschaftlichen Mechanismen aufzudecken und zu analysieren, die diese Interaktionen und Verhaltensweisen historisch heruntergespielt oder ignoriert haben.
Eintritt frei
Biographie: Mišo Kapetanović ist Marie-Sklodowska-Curie-Postdoktorand am Institut für Habsburger- und Balkanstudien der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hier in Wien. Er arbeitet im Bereich Kulturanthropologie und Europäische Ethnographie und hat an der Universität Ljubljana in Balkanstudien promoviert. Er schrieb über informelles Bauen, Arbeitsmigration, volkstümliche Gedenkpraktiken und queere Musikhörerschaft in der Region. Sein aktuelles Projekt, das von der Europäischen Kommission großzügig finanziert wird, erforscht die Regime geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in den westlichen Balkangebirgen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und revidiert das vorhandene Wissen über nicht-heteronormative Praktiken jenseits der Kriminalisierung, indem es die Entstehung kodifizierter Homophobie in einen historischen Kontext stellt, der sich mit der Modernisierung entwickelte.
“Is Queer Political” takes place within the framework of Shift