Wiedeńscy zboczeńcy – queers (and monsters) between Warszawa and Vienna in the 20th century
Mi ,8.6.2022, 18:00 Uhr
Ein Vortrag in Englisch von Kamil Karczewski
Als Historiker für queere Themen und Sexualität möchte Kamil Karczewski die Besucher des Queer Museums auf eine Reise durch das 20. Jahrhundert mitnehmen, die politische, nationale und sexuelle Grenzen überschreitet. Er wird zeigen, dass es unmöglich ist, die queere Geschichte in Polen zu verstehen, ohne Wien zu kennen.
Die Reise beginnt in der Belle Epoque mit der Geschichte eines polnischen Aristokraten, der seinen Ärzten in Krakau erzählte, wie er Homosexualität aus „den höchsten Sphären Österreichs“ und von Gleichaltrigen in einer Jesuitenschule in Wien lernte. Dann werden wir uns mit einem lesbischen Sexskandal befassen, der sich zum Glück für die Protagonistin in Warschau und nicht in Wien ereignete, denn – wie polnische Zeitungen berichteten – hätte dies für die Frau ernsthafte Probleme bedeutet, da das österreichische Strafgesetzbuch im Gegensatz zu den Gesetzen anderer Länder sexuelle Beziehungen zwischen Frauen unter Strafe stellte.
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde Wien oft als Brutstätte der Perversion und als Zufluchtsort für sexuell Perverse dargestellt. Diese Phantasie über die Stadt hing mit einem breiteren Motiv zusammen, das in den 1920er und 1930er Jahren in der polnischen Presse zu finden war: Homosexualität wurde als „deutsches Laster“ dargestellt, das aus dem deutschsprachigen Raum kam und die angeblich reine und katholische polnische Seele zerstörte. Diese Motive sind auch heute noch im öffentlichen Diskurs in Polen präsent und werden von den Rechtspopulisten ausgenutzt.
Wir werden erörtern, wann und wie diese Wien-Phantasie entstanden ist und wie sie mit dem enormen Einfluss zusammenhängt, den Menschen wie Sigmund Freund und Richard Krafft-Ebing auf die Gesellschaften in Mittel- und Osteuropa hatten.
Schließlich werden wir sehen, wie die Wiener Homosexuellenszene in den 1970er und 1980er Jahren den damaligen Schwulenaktivismus in Polen beeinflusst und gestärkt hat. Wir werden diskutieren, welche neuen Phantasien einige queere Menschen aus dem Land über Wien und Österreich am Ende des 20. Jahrhunderts hatten.
Karczewski lebte selbst vier Jahre lang in Österreich, nachdem er Polen 2012 verlassen hatte. Als er nach Wien zog, stellte er sich die Stadt als eine westliche, lebendige Metropole mit unbegrenzten Möglichkeiten für einen jungen schwulen Mann vor. Stattdessen sagte ihm eine Wiener queere Person bei meiner Ankunft: „Denk daran, man sagt, dass New York nie schläft, Wien schläft immer.“ Das könnte manchmal wahr sein. Aber nach mehreren Jahren des Studiums der Geschichte der Sexualität lernte er, dass Goya Recht hatte, wenn er den Schlaf als einen Zustand darstellte, in dem Monster hervorkommen. Einige dieser Ungeheuer können wunderbar seltsam sein.
Kamil Karczewski ist Doktorand in der Abteilung für Geschichte und Zivilisation am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, Italien. Er erforscht die queere Geschichte der Zwischenkriegszeit in
Polen aus einer transnationalen Perspektive.
In seiner Dissertation „Queer Warsaw: Sex in der Zeit des Nationalismus“ beschäftigt sich Karczewski mit den Beziehungen zwischen nationalistischer Ideologie und veränderten Vorstellungen von Sexualität im Polen der Zwischenkriegszeit.
Derzeit ist er auch wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Geschichte in Mainz und am
Herder-Institut in Marburg;
2022-24 Postdoctoral Past & Present Fellow am Institute of
Historical Research (University of London).
Dieser Vortrag wird unterstützt durch